6 Monate, 182 Tage, 4380 Stunden, 262800 Minuten,...

Hallo ihr Lieben!

 

Halbzeit. Ich bin inzwischen 6 Monate in der Ukraine und damit ist die Hälfte meiner Zeit hier schon vorbei. Wahnsinn wie schnell die Zeit rennt.

 

Doch was ist in den letzten Monaten passiert?

 

Als wir Ende August hier gelandet sind, voller Erwartungen und Vorstellungen, wie es sein wird, schienen mir diese 12 Monate unglaublich lang und jetzt ist schon die Hälfte rum. Es ist vieles in den letzten Monaten passiert: Los ging es am Ende des ukrainischen Hochsommers mit unseren Welcome Days und alles war so neu und aufregend. ;) So langsam kam dann auch die Routine und damit dann der Alltag. Ich fing an mit Flötenunterricht und auch mein Russisch wurde langsam besser.

Bevor ich mich versah, war es dann auch schon Dezember und so langsam begannen die Vorbereitungen für Weihnachten. Über Silvester haben Nico und ich dann unsere erste Reise nach Lemberg. Später ging es dann noch nach Kiev und Kremenets.

 

Ja, es war ganz schön viel los und sechs Monate sind dahin wie nichts.

 

Für mich hat sich in den letzten Monaten einiges verändert. Dinge, die mir anfangs unbekannt und die für mich ungewöhlich waren, sind Teil meines Alltags. Es ist schon fast normal für mich Russisch zu sprechen, ohne groß nachzudenken. Es ist normal mit Marschrutka zu fahren und auch ukrainische Dörfer in ihrer Einfachheit sind nix neues mehr für mich. Alles ist so normal und vertraut. 

 

War ich am Anfang nur ein außenstehender, ein Besucher dieses Landes, so bin ich inzwischen ein Teil der Gesellschaft und trotzdem anders.  Anfangs habe ich vieles nicht verstanden und das lag nicht nur an der Sprache. Auch gibt es einige kulturelle Dinge, die anders sind und die ich nicht ganz verstand, zum Beispiel:

 

Begrüßung:  Während man sich in Deutschland mindestens die Hand gibt, reicht es hier ein: "Всем привет!" ( ausgesprochen: wsjem priwjet) in den Raum zu werfen. Übersetzt heißt das in etwa: Allen Hallo!. Es ist dann auch nicht mehr wirklich nötig jeden einzeln mit Handschlag oder so zu begrüßen. Männer und Frauen begrüßen sich in der Regel sowieso nur per Gruß oder höchstens mit einem Highfive.

Da musste ich mich erstmal dran gewöhnen, dass es keine so große Begrüßungsrunden wie in Deutschland gibt, aber an sich ist es viel einfacher und man kann sich dieses ganze Händeschütteln und Umarmen ersparen.

 

Oder die Geschlechterrollen: Die Geschlechterrollen sind hier sehr klar definiert, genau so, wie es früher auch in Deutschland war. Während in Deutschland inzwischen Frauen Karriere machen und Männer sich teilweise um den Haushalt und die Kindererziehnug kümmern, gibt es hier diese  "alten Rollen": Der Mann versorgt die Familie und die Frau ist in erster Linie Hausfrau und Mutter. Sie muss auf alle Fälle gut kochen können und im Gegensatz zu deutschen Frauen, sind die ukrainischen Frauen viel modischer und schminken sich mehr.

Die Frauen sind das "schwache" Geschlecht. Damit habe ich immer noch meine Probleme. Klar es ist angenehm, wenn im Bus Männer für mich aufstehen, damit ich mich setzen kann, aber wenn die Jungs mir im Zentrum den Wischeimer oder Staubsauger bringen geht das mir dann doch zu weit, weil ich das meiner Meinung ja auch selber machen kann. Aber in der Ukraine dürfen Frauen eben nichts Schweres tragen und für die Frauen hier ist es zum Beispiel unvorstellbar Möbel umzustellen. Für sie ist das alles völlig normal und richtig so, auch wenn das heißt, dass extra ein Junge angerufen wird, der uns aus der Schule den Topf mit dem Essen bringt. Gerade in solchen Momenten ist es schwer für mich, das zu verstehen und mich dem auch zu fügen.

 

Oder aber auch die Einfachheit hier: Ich habe das Gefühl, das wir in Deutschland viel zu oft einfach nur Luxusprobleme haben. Beispiel gefällig: In Deutschland gibt es oft 3 Gerichte in Schulkantinen,... zur Auswahl und trotzdem ist es nicht genug Auswahl und wird nicht allen Ansprüchen der Menschheit gerecht. Hier gibt immer nur ein Gericht, meistens eine Suppe oder Reis oder Buchweizen und die Kinder essen es. Es gibt nie viel Fleisch oder sonst etwas besonderes und trotzdem leben die Menschen hier nicht schlechter.

Auch wissen wir in Deutschland vieles nicht zu schätzen: zum Beispiel einen Staat, in dem man abgesichert ist, wenn man ernsthaft krank wird oder in dem Familien unterstützt werden. All das gibt es in der Ukraine nicht und viele sind enttäuscht von der Politik. Sie ist geprägt von Korruption und das liegt nicht am Präsidenten an sich, sondern, dass das politische System Korruption zulässt und fördert.

Auch können wir dankbar sein, das in Deutschland Frieden ist. Als im Dezember der Krieg im Osten wieder zur Sprache kam, nachdem es die Auseinandersetzung in der Meerenge von Kertsch kam, wurde mir wieder bewusst, das in der Ukraine ja in einigen Gebieten Krieg ist. Und für ein paar Tage war auch für Nico und mich die Frage: Müssen wir zurück nach Deutschland? Was kommt als nächstes? Was kam: 30 Tage Kriegsrecht. Letztendlich hört sich das alles schlimmer an als es war, aber die Lage hätte eben auch eskalieren können.

Und trotzdem ging das Leben wie gewohnt weiter. Egal was ist, die Menschen machen ganz normal weiter. Es ist als sind sie irgendwie abgehärtet oder eionfach nur entspannter. So langsam werde auch ich enstpannter. Als das erste Mal die Heizung ausfiel oder das Wasser weg war, habe ich dann doch ein bisschen die Krise gekriegt. Inzwischen weiß ich, das passiert ab und zu und ist völlig normal.

 

Das ukrainische Zeitgefühl ist für mich als Deutsche immer noch ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Die Ukrainer sind vor allem eins: Spontan. Ein Kalender? Was ist das? Wenn ich sage, das die Menschen in Deutschland alle einen Kalender mit vielen Terminen haben, werde ich angeguckt, als bin ich verrückt. Aber zu was brauch man auch einen Kalender, wenn man alles spontan plant? ;)  Wenn man sich treffen will klärt man das in der Regel höchstens einen Tag vorher ab. Größere Sachen in etwa einen Monat. Eher kann man aber auch nix buchen, weder den Zug noch Tickets für die Oper oder sonst irgendetwas. Und so langsam werde ich selber spontan und bin entspannter, wenn eine Woche vor Abfahrt der Zug noch nicht gebucht wird.

 

Ich will nicht sagen, dass das Leben hier einen abhärtet, aber man wird entspannter und verfällt nicht so schnell in Panik, wenn mal das Wasser oder die Heizung oder der Strom ausfällt (Hatte ich bis jetzt alles schon mal. ).  Trotzdem glaube ich, das wir in Deutschland schon ziemlich verwöhnt sind, da es alles immer gibt.

 

Auch wenn ich inzwischen sechs Monate hier lebe und mich hier zu Hause fühle, bin ich doch immer anders: die Deutsche. Spätestens sobald ich den Mund aufmache und anfange russisch von mir zu geben, fällt auf das ich definitiv nicht aus Odessa komme. Mein Akzent verrät mich. Und auch so, bin ich anders. Ich habe andere Möglichkeiten als die meisten hier, verhalte mich anders, trage auf alle Fälle weniger Schminke und Bling-Bling als die ukrainischen Frauen,.. . Zu einem Teil gehör ich dazu und dann fühl ich mich manchmal wieder fremd.

 

Die letzten Monate vergingen wahnsinnig schnell und ich bin dankbar für jede Erfahrung, die ich hier machen kann. Auch wenn es mit den Kindern oder der Sprache immer wieder eine Herausforderung ist und ich ab und zu auch am verzweifeln bin, weil die Kinder wieder mal überhaupt nicht hören oder ich mit meinem Russisch nicht wirklich weiter komme, bin ich doch froh, dass ich hier sein kann und all diese Dinge erleben darf. Umso mehr freue ich mich über jeden kleinen "Fortschritt".

 

Das solls erstmal wieder von mir gewesen sein...

Miri

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